Aktuelle News · 31.05.2022
Marktkommentar: Der Westen ist bedroht – nicht nur von Außen
Aus dem Pfadfinder-Brief Nr. 10 vom 29. Mai 2022, von Daniel Haase, Fondsmanager und Vorstand beim Hamburger Vermögensverwalter HAC
Jetzt lesen«Als Ergebnis dieser beispiellosen Sanktionen [Anmerkung: des Westens gegen
Russland] werden wir den Rubel in Schutt und Asche legen.»
«Die Vereinigten Staaten haben 140 russische Oligarchen und ihre Familienmitglieder
sanktioniert und ihre unrechtmäßigen Gewinne beschlagnahmt: ihre Yachten, ihre
Luxuswohnungen, ihre Villen.»
US-Präsidenten Joe Biden in einer Rede im März 2022 in Warschau
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
als Joe Biden vor etwa zwei Monaten in der polnischen Hauptstadt eine Rede hielt, verwies er darauf, dass die von seiner Administration angestoßenen Sanktionen gegen Russland nicht nur staatliche Institutionen und (halb-) staatliche Unternehmen, sondern auch direkt etwa 400 russische Regierungsbeamte treffen. Darüber hinausrühmte Biden, dass man unrechtmäßige Vermögen russischer Oligarchen und ihrer Familien im Westen konfisziert hätte (s. Zitat).
Woher der US-Präsident weiß, dass die Vermögen der betroffenen Privatpersonen unrechtmäßig erworben wurden und ob seine Regierung über dieses Wissen erst seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine verfügt, geht aus der Rede leider nicht hervor. Ich möchte mich nicht der Querdenkerei schuldig machen, deshalb frage ich nur für einen Freund: welche Kriterien muss man denn nun im Detail anlegen, um rechtssicher unbescholtene russische Staatsbürger von verfolgungswürdigen Oligarchen unterscheiden zu können? Wer sein Leben auf Yachten, in Luxuswohnungen oder Villen fristet, ist – zumindest in Verbindung mit einem russischen Pass – schnell als Unrechtssubjekt überführt. Notfalls rundet der Besitz eines englischen Fußballclubs das Bild ab. Doch ab wieviel Luxuswohnungen genau ist jemand Oligarch? Und gilt manchen heutzutage nicht schon ein recht überschaubarer Wohnraum bspw. im Zentrum von Hamburg oder München als Luxus?
Natürlich leben wir fraglos im besten Westen aller Zeiten mit Grundrechten, Meinungsfreiheit, Rechtsstaat, Unschuldsvermutung, linksliberaler Regierung und so weiter. Gleichwohl beschleicht mich das Gefühl, dass Außenstehende, z.B. vermögende Chinesen die Entwicklungen der jüngsten Zeit anders beurteilen könnten.
Wie würde bspw. ein international erfolgreicher, chinesischer Unternehmer urteilen? Aus naheliegenden Gründen hat er einen Teil seines Vermögens außerhalb der Reichweite der kommunistischen Partei Chinas angelegt, vielleicht in Luxusimmobilien in Vancouver, New York und/oder London, vielleicht sogar in München. Nun betont seine Regierung in Peking immer mal wieder, Taiwan müsse heim ins Reich der Mitte geholt werden, notfalls mit Gewalt. Die Möglichkeiten dieses Unternehmers, den Kurs seiner Regierung zu ändern, sind nahe Null. Was wird er angesichts unseres Umgangs mit dem Eigentum russischer Unternehmer über die Sicherheit seiner Investitionen im Westen für den Fall eines Konfliktes zwischen uns und China denken? Welchen Einfluss wird dies auf seine Nachfrage bspw. nach amerikanischen und/oder europäischen Immobilien haben?
Der in Hongkong lebende, französische Autor und Investmentanalyst Louis-Vincent Gave bezeichnete die westlichen Finanzsanktionen gegen Russland und russische Staatsbürger jüngst als „die wichtigste finanzielle Entwicklung, seit US-Präsident Richard Nixon 1971 das Goldfenster schloss“. Falls Ihnen substanzielle Argumente einfallen, mit denen man Gave widersprechen könnte, lassen Sie es mich gerne wissen.
Zu den Märkten:
Am Tief vom 20. Mai notierte der US-Leitindex S&P 500 ungefähr 21% unter den Hochs vom 4. Januar. Nach der zugegebenermaßen etwas holzschnitzartigen 20%-Regel befindet er sich damit in einem Bärenmarkt. Seither hat eine nennenswerte Gegenbewegung eingesetzt, die – zumindest bisher – über eine gute Marktbreite und Dynamik verfügt, so dass ihre Fortsetzung für die kommenden Wochen das Basisszenario darstellt. Zumindest typische Kursziele für Gegenbewegungen scheinen erreichbar (z.B. 100-Tage-Linie bei rund 4.350 Punkten). Gleichwohl sind in der Frage, ob das Tief vom 20. Mai schon das mittel- und langfristige Ende der Abwärtsbewegung darstellt, durchaus Zweifel angebracht (s. Abb. 2).
Entsprechend begleiten wir die laufende Erholung in unseren Strategien mit aller gebotenen Vorsicht. Wir prüfen börsentäglich unsere Marktstrukturdaten eingehend, um etwaige neuerliche Warnsignale frühzeitig wahrnehmen zu können. Sollten sie auftreten, werden wir unsere Absicherungsmechanismen unverzüglich hochfahren. Aktives Risikomanagement ist in den kommenden Monaten weiterhin Trumpf.
Herzliche Grüße
Ihr Daniel Haase
PS: Der nächste Pfadfinder-Brief ist für das Wochenende 18/19. Juni 2022, geplant.
ÜBER Daniel Haase
Daniel Haase (geb. 1976, Mecklenburg) ist Fondsmanager und Vorstand der HAC VermögensManagement AG in Hamburg. Die Vereinigung Technischer Analysten Deutschlands zeichnete sowohl die von ihm entwickelten Methoden zur Trendanalyse (2009) als auch jene zur Aktienauswahl (2019) mit VTAD Awards aus. Seit 2015 ist der gelernte Bankkaufmann beim Hamburger Vermögensverwalter HAC als Vorstand für das Asset Management zuständig. Nachdem der Marathon Stiftungsfonds (WKN: A143AN) des Hamburger Finanzhauses auch den Corona-Crash erfolgreich meisterte, verliehen die Ratingagenturen FWW und Morningstar dem Fonds im Sommer 2020 die bestmögliche Bewertung von fünf Sternen. Sein Marktkommentar (Pfadfinder-Brief) erscheint alle zwei Wochen und ist Bestandteil des Community-Premium-Pakets.