Aktuelle News · 10.09.2020

Pro & Kontra: Hausse oder Baisse – Was ist in den kommenden 12 Monaten wahrscheinlicher?

Vieles spricht dafür, dass die Kurserholung an den Märkten nachhaltig ist und sich weiter fortsetzen kann – und vieles spricht dagegen.

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Finanzratgeber

Autor*in Tobias Gabriel

Vieles spricht dafür, dass die Kurserholung an den Märkten nachhaltig ist und sich weiter fortsetzen kann – und vieles spricht dagegen. Passende Argumente für zwei gegensätzliche Standpunkte.

Pro Hausse

Die Märkte laufen der realwirtschaftlichen Entwicklung voraus. Deshalb sind die Kurse in Erwartung einer deutlichen Wirtschaftserholung schon im Frühjahr gestiegen, als die Lage noch düster schien. Inzwischen haben sich viele Indikatoren tatsächlich erheblich verbessert und die Erwartungen für die Zukunft aufgehellt, wie zum Beispiel der ifo Geschäftsklimaindex zeigt. Auch die Fundamentaldaten vieler Unternehmen etwa im DAX erwiesen sich gegenüber den anfangs befürchteten Extremszenarien als überraschend positiv, wenn man von den am stärksten betroffenen Branchen wie etwa Touristik absieht.

Für den Gesamtmarkt ist Corona inzwischen ein eingepreister Faktor, der sich nicht unbedingt negativ auswirken muss, solange sich die Situation nicht wieder erheblich verschlechtert. Das liegt vor allem daran, dass die beiden größten Asse im Ärmel der Bullen die Politik der Zentralbanken und die Fiskalpolitik sind. Die Corona-Krise als externes, von niemandem wirklich verschuldetes Ereignis scheint politisch jedes Mittel zu rechtfertigen, um die Wirtschaft mit viel Geld anzukurbeln.

Man könnte – kontraintuitiv – fast meinen, dass je länger die Krise ohne endgültige medizinische Lösung andauert, desto länger zieht sich die Hausse hin, weil sich die Märkte praktisch auf die Unterstützung seitens Zentralbank und Politik verlassen können. Gleichzeitig rechtfertigt dieser Support auch höhere Aktienbewertungen.

Gold Monatschart seit 1971

Der Chart zeigt die Kursentwicklung von Gold in US-Dollar seit dem 15. August 1971, als US-Präsident Richard Nixon die Kopplung zum Dollar (Bretton-Woods-System) beendete und damit den bis dahin gültigen Goldstandard aufhob. Damals notierte der Goldpreis bei rund 41 US-Dollar, was bis heute (rund 1900 US-Dollar) einer jährlichen geometrischen Durchschnittsrendite von 8% entspricht.
Quelle: www.tradesignalonline.com

A propos Bewertungen: Relativ zu Staatsanleihen sind Dividendenpapiere aus Renditesicht ohnehin auch heute noch teils deutlich attraktiver. Denkbar wäre sogar eine besonders starke Hausse wie im Jahr 1999, als nach der Krise und infolge von Zinssenkungen insbesondere bei Technologiewerten ein Höhenflug begann. Es wäre sozusagen der „neue Neue Markt“. Zwar würde das nicht für immer so anhalten, aber auf Sicht von 12 Monaten könnte die entstehende Euphorie durchaus tragen.

Kontra

Die Märkte sind keine Einbahnstraße. Es gibt Risiken, die dem bisherigen Kursanstieg und den darin eingepreisten Erwartungen schnell einen Strich durch die Rechnung machen können. Ein Argument ist die klassische Saisonalität der Aktienkurse, die bis Oktober eine erhöhte Gefahr von Kurseinbrüchen mit sich bringt.

Dazu passt, dass einige Sentiment-Indikatoren wie der Fear & Greed Index zuletzt etwas überhitzt waren. Vor allem aber basiert die bisherige Erholung auf der Erwartung, dass die Corona-Krise in vielen Bereichen überwunden ist, was die Auswirkungen auf die Wirtschaft angeht.

Das könnte sich als Trugschluss erweisen. Denn in der Regel treten Grippewellen im Winterhalbjahr auf, das uns dann ab November bevorsteht. Vielleicht hatten wir bisher einfach nur Glück, dass die Corona-Welle im April vor allem auch saisonal bedingt abebbte. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass sich die Wirtschaft seit Corona in der digitalen und der „analogen“ Welt deutlich unterschiedlich entwickelt. Während Unternehmen im digitalen Bereich im Durchschnitt sogar von der Krise profitieren konnten, wurden Unternehmen im Bereich der klassischen Industrie zum Teil hart getroffen. Man sollte nicht vergessen, dass eine potenzielle Pleitewelle ansteht, die momentan zwar durch Sonderregelungen aufgeschoben, aber wohl nicht aufgehoben ist.

Zudem sind gerade in den USA deutlich mehr Menschen arbeitslos als zuvor. Eine Baisse wäre deshalb ein natürlicher Prozess infolge der nach wie vor nicht beendeten Krise, was die Geld- und Fiskalpolitik aber nicht zulassen möchte. Das Ventil hierfür sind höhere Inflationserwartungen. Sollte sich dieses Szenario ergeben und hält die EZB auch nur einigermaßen glaubhaft am Ziel der Geldwertstabilität fest, wäre die Zeit der lockeren Geldpolitik beendet. Das wäre eine herbe Enttäuschung der momentan eingepreisten Erwartung „ewig“ niedriger Zinsen und könnte zu einer echten Baisse führen.

ÜBER DEN AUTOR

Tobias Gabriel

Der studierte Betriebswirt (Master of Science, Universität Hamburg) ist von Beruf Vermögensverwalter und pflegt seit knapp 10 Jahren Kontakt zu Privatanlegern, um sie bei der Geldanlage zu betreuen. Der Anlageprofi engagiert sich in der Hanseatischen Anleger Community, um Privatanlegern das Investment in Aktien, ETF’s und Fonds verständlicher, günstiger und transparenter zu machen. Da er die Sprache von Privatanlegern kennt, ist sein Job als Chef-Redakteur des Mitglieder-Magazins „Marathon Investor“, komplexe, finanzielle Sachverhalte verständlich herunterzubrechen. 

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