Aktuelle News · 24.06.2021

Ratgeber: Momentum-Strategie: Teuer kaufen, noch teurer verkaufen

Wer auf die Momentum-Strategie setzt, kauft Aktien mit steigendem Kurs. Das widerspricht der intuitiven Logik, möglichst günstig zuzuschlagen. Erfahren Sie hier, wie das Momentum berechnet wird, ob die Strategie für Sie sinnvoll ist und was Anleger beachten sollten.

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Finanzratgeber

Autor*in Tobias Gabriel

Auf einen Blick: Was ist die Momentum-Strategie

  • Aktien, die bisher stabil gestiegen sind, werden auch weiterhin an Wert gewinnen: Das ist die Annahme, die der Momentum-Strategie zugrunde liegen.
  • Studien zufolge sind die besten Momentum-Aktien jene, die sich gleichmäßig und mit geringen Schwankungen nach oben entwickeln. Sozusagen unter dem Radar, ohne viel Lärm zu machen.
  • Besonders positiv ist es, wenn dabei auch die Fundamentaldaten (Marktanalysen und betriebswirtschaftliche Kennzahlen) selbst ein Momentum entwickeln. Die Aufgabe besteht darin, diese Titel zu finden.
  • Die Momentum-Strategie birgt aber auch Risiken. So fallen mögliche Drawdowns besonders stark aus und Anleger müssen dem Drang widerstehen, Gewinne vorzeitig mitzunehmen.
  • Daher ist die Momentum-Strategie eher für Börsenprofis mit einem großen Portfolio geeignet und sollte in Kombination mit anderen Anlagestrategien angewendet werden. Wenn Sie in ETFs investieren, ist bereits ein gewisses Momentum enthalten.

Was ist das Momentum einer Aktie?

Das Momentum ist ein Kennwert, der den Kurstrend eines Wertpapiers angibt. Er signalisiert die Richtung des Kurses und die Geschwindigkeit des Auf- oder Abschwungs.

Wie berechnet man das Momentum?

Beim Momentum wird der aktuelle Kurs mit dem Kurs der Vergangenheit in Beziehung gesetzt. Es gibt vor allem zwei Methoden zur Berechnung des Momentums

  1. Momentum = aktueller Kurs – Kurs vor n Tagen
  2. Momentum = aktueller Kurs / Kurs vor n Tagen x 100

Ein Momentum größer 1 lässt auf einen Aufwärtstrend schließen. Als Vergleichszeitraum sollte mindestens 6 Monate gewählt werden. 12 Monate sind besser. Je kürzer der Zeitraum ist, desto ungenauer wird die mögliche Aussage.

So entsteht der Momentum-Effekt: Erklärung in 3 Schritten

In der wissenschaftlichen Literatur besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Momentum funktioniert. Eine gute Erklärung sind die Verhaltenseffekte der Marktteilnehmer

Schritt 1: Unterreaktion

Wenn ein Unternehmen beginnt, gute Zahlen oder einen besseren Ausblick zu veröffentlichen, sind viele Anleger zunächst skeptisch. Die Folge: Der Kurs reagiert weniger deutlich als eigentlich angemessen wäre.

Schritt 2: Aufholphase

Wenn sich die bessere Einschätzung im Laufe der Zeit bestätigt, zieht der Kurs nach. Die anfängliche Unterreaktion wird aufgeholt.

Schritt 3: Aufwärtsspirale

Es zeigt sich ein positiver Trend, auf den wiederum neue Marktteilnehmer aufmerksam werden, die das Ganze weiter beschleunigen. Manchmal entwickelt sich eine richtige Dynamik, in deren Folge es zu einer deutlichen Überreaktion der Kurse nach oben hin kommen kann.

KLASSISCHER MOMENTUM-EFFEKT

Die Grafik zeigt die kumulativen Überrenditen von Momentum-Portfolios mit einer Ranking-Periode von sechs Monaten in Abhängigkeit
von der Haltedauer in Monaten. Mittelfristig wird eine deutliche Outperformance erzielt, die sich aber langfristig wieder umkehrt.
Die Abbildung ist einer Studie aus dem Jahr 2001 entnommen, die über einen längeren Zeitraum erfolgte als das Original-Paper der Autoren (1993).
Zeitraum: 1965-1997.

Quelle: Jegadeesh, N. / Titman, S. (2001), Profitability of Momentum Strategies: An Evaluation of Alternative Explanations,
Journal of Finance, Vol. 56, Nr. 2

Risiken: Was gegen Momentum-Aktien spricht

  • Große Schwankungen: Überreaktionen sind in der Regel nichts Gutes, da sie zu erhöhter Volatilität und einem Abbrechen der Momentum-Bewegung führen können.
  • Höhere Risiken: Bei der Momentum-Strategie kann es zu Drawdowns kommen. Solche Einbrüche treten zwar eher selten auf, fallen dafür aber besonders stark aus. Nicht umsonst nennt man die großen Drawdowns auch „Momentum-Crashs“. Zuletzt war ein solcher Crash im Jahr 2009 zu beobachten.
  • Teurer Portfolioumschlag: Ein weiteres Risiko besteht darin, dass infolge instabiler Trends innerhalb des Momentum-Portfolios über lange Zeit viel hin und her gehandelt wird, ohne dabei in Summe Gewinne zu erzielen. Das kann auch psychologisch schwierig sein, da die entsprechenden Ein- und Ausstiege im Chart nicht gerade clever aussehen. Trotzdem produziert der hohe Portfolioumschlag fortlaufend Kosten, die sich auf die Performance niederschlagen.
  • Gute Nerven nötig: Die Momentum-Strategie kann ein echtes Geduldsspiel werden, bei dem Anleger fest daran glauben müssen, dass Phasen mit hoher Schwankung früher oder später überwunden werden.

Fazit: Ist die Momentum-Strategie sinnvoll für mich?

Die gute Rendite von Momentum könnte auf lange Sicht also nur deshalb bestehen, weil der Effekt kurzfristig mit erheblichen Risiken und Umsetzungsproblemen verbunden ist. Hinzu kommt eine generelle Unsicherheit: Auch wenn die Strategie in der Vergangenheit funktionierte, eine Garantie für die Zukunft gibt es nicht. Der Momentum-Effekt kann eines Tages verschwinden oder sich so abschwächen, dass es sich nicht mehr lohnt. Dieses Schicksal haben auch andere Effekte schon erlebt – und die Märkte werden bekanntlich immer effizienter.

Gut zu wissen: Momentum ist in ETFs bereits eingebaut

Es gibt noch einen guten Grund, weshalb Anleger nicht speziell auf den Momentum-Effekt zu setzen brauchen: Dieser ist in den meisten Anlagestrategien und vor allem in passiven ETFs bereits eingebaut. Denn klassisch setzen die zugrunde liegenden Indizes auf eine Gewichtung der enthaltenen Aktien nach Marktkapitalisierung. Das führt automatisch dazu, dass im Kurs gestiegene Titel ein höheres Gewicht aufweisen.

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