Aktuelle News · 22.07.2021
Ratgeber: PRO/KONTRA – sind Leerverkäufe nützlich?
Bei der Frage nach dem Nutzen von Leerverkäufen gibt es zwei Dimensionen: 1) Sind sie für Anleger profitabel? 2) Machen Sie den Markt insgesamt effizienter?
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Zugegeben: Leerverkäufe sind kein einfaches Geschäft, sondern stellen eine ganz spezielle Strategie an den Märkten dar. Doch obwohl es leichter ist, von Kursgewinnen bei Aktien zu profitieren als von Kursverlusten, können auch Leerverkäufe hohe Gewinne erzielen. Denn wie bei allen Strategien gibt es auch hier Spezialisten, die sich darauf fokussieren. Ein gutes Beispiel war die Pleite von Wirecard. Hier konnten Shortseller hohe Gewinne einstreichen, während viele klassische Anleger direkt oder indirekt in der Aktie investiert waren und entsprechende Verluste verbuchen mussten. Was aber viele nicht wissen: Auch normale Anleger können indirekt etwas von Leerverkäufen profitieren, wenn sie Fonds oder Versicherungen besitzen, die Wertpapierleihe betreiben und darüber Zusatzerträge erzielen. Denn für die Leihe zahlen Leerverkäufer mitunter hohe Gebühren.
Was den Gesamtmarkt angeht, ist der Nutzen von Leerverkäufen empirisch untermauert: Sie machen die Kurse effizienter, indem sie für höhere Liquidität und kleinere Spreads sorgen. Besonders wichtig sind Leerverkäufer aber, wenn es zu Überbewertungen bzw. Übertreibungen der Kurse nach oben kommt. Dann wirkt das antizyklische, zusätzliche Angebot an Aktien durch Leerverkäufer stabilisierend – zumindest, solange die Händler ihre Positionen auch durchhalten können. Gehen sie dagegen zu hohe Risiken ein, besteht die Gefahr eines Short Squeeze, der die Aufwärtsbewegung kurzfristig noch verstärken kann. Da Leerverkäufer jedoch profitabel handeln und Gewinne erzielen möchten, liegen sie mit ihren Einschätzungen eher richtig und stiften damit einen kollektiven Nutzen in Sachen Markteffizienz. Ein Verbot würde dagegen Restriktionen bedeuten und einem Verlust an Effizienz gleichkommen, da die Handlungsoptionen eingeschränkt würden. Zudem wurden solche Verbote in der Vergangenheit häufig erst in akuten Krisenzeiten erlassen, als bereits hohe Kursverluste entstanden waren. Diese waren jedoch nicht den Leerverkäufern zuzurechnen, sondern der fundamentalen Situation.
Kontra
In den Portfolios fast aller Anleger, die naturgemäß auf steigende Kurse ausgerichtet sind, haben Leerverkäufe keine Relevanz. Angesichts der langfristigen Entwicklung ist ohnehin davon auszugehen, dass die Wahrscheinlichkeit für steigende Kurse systematisch höher ist als für fallende. Hinzu kommt, dass Kurssteigerungen weit mehr als 100 Prozent betragen können. Kursverluste dagegen, von denen Leerverkäufer profitieren, sind der Höhe nach auf den Totalverlust, also einen Gewinn von 100 Prozent begrenzt, wobei hier noch die Leihgebühren abzuziehen sind. Man muss also sowohl die schlechten Aktien zuverlässig erkennen als auch das Portfolio regelmäßig und angemessen rebalancieren, um in diesem Geschäft eine positive Rendite zu erzielen. Weiterhin besteht ständig die Gefahr positiver Nachrichten, vor allem Übernahmen, die quasi über Nacht angekündigt werden und den Leerverkäufern enorme Verluste bescheren. Aufgrund dieser ganzen Faktoren sind die Erfolgsaussichten deutlich reduziert. Wie schwierig das Geschäft ist, zeigt sich auch daran, dass es nur sehr wenige wirklich erfolgreiche Shortseller gibt.
Auch für den Gesamtmarkt ist fraglich, ob Leerverkäufe tatsächlich sinnvoll bzw. für die Markteffizienz notwendig sind. Schließlich gibt es andere Möglichkeiten wie Optionen oder strukturierte Produkte, um auf fallende Kurse zu setzen. Außerdem besteht immer auch die latente Gefahr einer möglichen Manipulation: Gerade bei kleinen, illiquiden Werten könnten gezielt negative Nachrichten gestreut werden, um die entsprechenden Aktien unter Druck zu bringen und dann Gewinne mitzunehmen, also die leerverkauften Aktien günstig zurückzukaufen. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die erzielten Erträge aus der Wertpapierleihe fragwürdig, wenn dadurch gleichzeitig eine potenzielle Marktmanipulation ermöglicht wird. Zwar stellen diese Fälle nicht die Mehrheit der Leerverkäufe dar, aber es ist dennoch ein wiederkehrendes Problem und eine Quelle unnötiger Volatilität, was nicht im Sinne möglichst effizienter Märkte ist.